
zuletzt geändert am 31.01.2023
Fühlen Sie sich beim Gedanken manipuliert zu werden wohl? Nein? Und dennoch unterliegen wir Internetbenutzer teils massiver Manipulation. Manches davon ist harmlos, vieles bringt sogar Vorteile, manches aber ist eine zunehmende Gefahr für unsere Freiheit.
Was ist Manipulation?
Manipulation von Menschen ist die bewusste und rücksichtslose Anwendung von nicht zu durchschauenden Techniken an anderen Personen, um eigene Ziele zu erreichen (Quelle).
Vor tausend Jahren waren die Persönlichkeit und das gesprochene Wort die einzigen Mittel zur Manipulation, so dass der Wirkungskreis überschaubar war. Dann, mit Gutenberg und dem Buchdruck erweiterte sich der Wirkungskreis erheblich. Massendruck, Bilder, Film und Fernsehen ließen den Wirkungskreis schließlich geradezu explodieren. Und mit der Verbreitung des Internets erreicht inzwischen jede Information auch die letzte Hütte im hintersten Erdwinkel. Manipulation bekam eine globale Bühne, auf der nicht mehr nur Herrscher, Kirche, Verleger, Politiker und Mächtige auftreten können, sondern JEDER.
Im Internet kann jeder manipulieren und es kann jeder manipuliert werden!
Das Internet hat den Raum für Manipulation fast ins Unendliche wachsen lassen. Ausschlaggebend dafür ist einerseits die Verfügbarkeit des Mediums. Im Jahr 2022 benutzten gut zwei Drittel der Menschen weltweit das Internet. Und andererseits sind es die im Internet eingesetzten Methoden zur Steuerung des Nutzerverhaltens.
Methoden
1. Manipulation des Verhaltens
Um unser Verhalten zu manipulieren, wird das menschliche Verhaltensmuster (z.B. die Reaktion auf Reize) mittels dark pattern geschickt ausgenutzt. Dark pattern sind Gestaltungselemente auf einer Webseite, die den Benutzer zu etwas verleiten, ohne dass er sich dessen bewusst wird. Der Internetnutzer reagiert auf Grund seines angestammten Verhaltensmusters automatisch auf den Reiz des dark pattern.
2. Manipulation der Auswahl
Die Manipulation der Auswahl wird ersichtlich, wenn verschiedene Benutzer des Internets unterschiedliche Angebote bei der Suche nach ein- und demselben Objekt erhalten. Es gibt keine für alle Benutzer gleichermaßen gültigen Informationen mehr, sondern nur noch jene, die von den Algorithmen der Suchmaschinen gefiltert und gereiht wurden und die zu dem Persönlichkeitsprofil des einzelnen Benutzers passen. Der Benutzer wird somit in seiner Wahlfreiheit eingeschränkt und erhält nur noch vorkonfektionierte Angebote. Im besten Fall will er gar keine anderen Angebote, sondern erhält die für ihn beste Auswahl. Im schlechtesten Fall werden ihm Angebote vorenthalten, die er bei deren Kenntnis viel eher bevorzugt hätte.
Zur Manipulation der Auswahl zählen vor allem die vorselektierten Listen der Suchergebnisse, die keine objektive Gültigkeit der Ergebnisse mehr bieten. Die Suchergebnisse werden bereits an das Persönlichkeitsprofil angepasst und liefern nur noch einen Ausschnitt aus der vollständigen Realität.
3. Manipulation der Meinung
Das Internet schuf die Grundlagen, um die Meinung der Benutzer des Internets nach Belieben zu beeinflussen. Die Kenntnis der Persönlichkeitsprofile der Internetbenutzer, der Einsatz Künstlicher Intelligenz zur Identifizierung geeigneter Benutzergruppen und der massenweise Versand durch Robots sind die drei Säulen, auf denen die Manipulation der Meinung ruht.
Und die Manipulation der Meinung spielt natürlich bei Wahlen eine besonders große Rolle. Es darf davon ausgegangen werden, dass künftig Wahlen weltweit zunehmend von Computerpropaganda beeinflusst werden. Unter Computerpropaganda (Computational Propaganda) ist die Verwendung von Algorithmen zur Automatisierung von Kampagnen für verschiedene Menschengruppen zu verstehen, um damit gezielt meinungsbeeinflussende oder sogar irreführende Informationen über soziale Mediennetzwerke zu verbreiten (Quelle). Politische Aktivisten werden ihre digitalen Messer schärfen, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. Wenn wir in die Zukunft blicken, wird es entscheidend sein, die Nutzer sozialer Medien auf den Ansturm politischer Einflussnahme vorzubereiten (Quelle). Fehlinformation und Junk-Nachrichten machten „zwanzig Prozent aller politischen Nachrichten und Informationen auf Twitter“ aus (Quelle).
Internetbenutzer werden in Zukunft in steigendem Maße auf Informationen treffen, die nichts anderes zum Ziel haben als die Meinung zu manipulieren. Das ist die größte Gefahr für die freie Meinungsbildung, die aus dem Internet droht.
Voraussetzung für Manipulation ist Ausspähung
Inzwischen wird jeder Besucher des Internets akribisch verfolgt, damit die Datensammler aus dem Verhalten eines jeden Besuchers sein exaktes Persönlichkeitsprofil erstellen können. Damit können jedem Besucher personalisierte Werbung, Kontaktangebote, politische Meinungen und maßgeschneiderte Informationen zugesandt werden. Das heißt, das Ziel der Ausspähung ist die gezielte Beeinflussung des Besuchers im Internet. Anders formuliert, der Preis des Besuchs im Internet ist der Verlust der persönlichen Freiheit, denn es herrscht Manipulation.
Die Manipulation kann man leicht verständlich machen. Wenn zwei verschiedene Nutzer mit exakt denselben Suchbegriffen Ferienangebote abfragen, so erhalten sie sehr wahrscheinlich völlig unterschiedliche Ergebnisse. Der eine zum Beispiel günstige All-inclusive-Angebote, der andere teure Rundreisen. Warum? Weil Google laut der Besucherprofile weiß, dass ersterer ein Angestellter mit eher geringem Einkommen, letzterer aber Bestverdiener in der Finanzbranche ist. Man könnte einwenden, diese Auswahl macht doch Sinn, also ist doch alles gut. Nein, es ist nicht gut, denn es ist Vorauswahl durch Ausspähung und somit Manipulation!
Dauersurfer sind Datensammlern bestens bekannt und stehen nackt vor ihnen.
Eine Welt voll Manipulation
Innerhalb nur eines Jahrzehnts entstanden Wirtschaftsgiganten wie Apple, Alphabet, Amazon, Meta oder Microsoft, die schnell begriffen hatten, welche Rendite der Handel mit Benutzerdaten abwerfen kann. Sie greifen die Daten der Besucher im Internet kompromisslos ab und füttern damit ihr eigenes Geschäft und die Werbewirtschaft. Ein wahrlich fürstliches Geschäft, das auf dem Buckel der Internetbenutzer ausgetragen wird.
Werbung
Die Werbewirtschaft ist begeistert, kann sie denn mit den Benutzerdaten die Kauflust der Massen bestens stimulieren. Je mehr Werbung zu noch mehr Einkauf führt, desto größer der Erfolg aller beteiligten Wirtschaftszweige. Infolgedessen wachsen und wachsen die Altkleidermärkte in Afrika, die Abfallberge allerortens, die Massen an Plastikmüll in den Meeren und an den Stränden. Die Konsumenten kümmert es nicht, denn sie erleben die Konsequenzen der Manipulation nicht. Der Wahnsinn der Verführung endet irgendwo, nicht aber „am eigenen Leib“. Der Wachstumsfetisch der modernen Ökonomie kennt keinen Einhalt, sondern nur das „Mehr“, mehr noch! Die Grenzen des Wachstums werden kurzum völlig ignoriert.
Bereits im Rahmen der Werbung ist Manipulation nicht nur Verführung zu etwas, sondern bereits Einschränkung des freien Willens. Wenn Werbung nicht mehr alle Optionen der Verführung anbietet, sondern bereits eine Vorauswahl trifft, wird Werbung zur Fremdbestimmung. Und mit der Kenntnis der Persönlichkeitsprofile der Internetbenutzer ist dies mittlerweile alltägliche Praxis.
Influencer
Das Internet hat die Werbung nicht erschaffen, sondern sie nur rasant ausbreiten lassen. Entstehen ließ das Internet jedoch die Influencer als Missbildung der Werbewirtschaft. Wer genügend Fähigkeiten zur Selbstdarstellung und zur Marktschreierei besitzt und auch noch finanzielle Vorteile wittert, dem bietet das Internet eine willkommene Bühne für das eigene Schmarotzertum. Wem muss man aber mehr widersprechen? Dem letztlich Wirtschaft treibenden Influencer oder den gedankenlos und begeistert folgenden Konsumenten?
Influencer sind der Inbegriff von Manipulation, keine gefährliche, aber völlig überflüssige und für eine gesunde Welt schädliche Ausprägung der Manipulation. Das sollten sich die vom Influencertum infizierten Follower vergegenwärtigen. Hilft diese Anmerkung? Vermutlich nicht, vielleicht eine Winzigkeit.
Werbung ist die süße Droge, Menschen an das Ziel ihrer Sehnsüchte zu führen und ihnen wohlige Zufriedenheit zu gewähren. Die Konsumenten werden lusterfüllt und schuldbefreit. Das ist das Problem!
Medien im Internet
Medien geben neben wertneutraler Darstellung von Vorkommnissen immer auch die Meinung des Verfassers wieder. Vielfalt an Medien ergibt Meinungsvielfalt. Mancher Meinung wird man zustimmen, anderen nicht. Solange die Meinungen respektvoll nebeneinander existieren und man sich daraus kraft eigener kritischer Überlegungen seine eigene Meinung bilden kann, darf man sich in einer funktionierenden Medienlandschaft wähnen. Das gilt auch, wenn das Meinungsspektrum radikale Ansichten umfasst.
Manipulation aber kennt keinen Respekt. Manipulation engt kritisches Bewusstsein ein oder schaltet es gar aus. Das galt uneingeschränkt auch schon lange vor der Existenz des Internets. Mit dem Internet haben sich aber zwei Kriterien gewaltig verschoben. Jeder kann publizieren und jeder kann anonym. Somit wird die Absicht des Autors zum allein entscheidenden Kriterium, welches Ziel verfolgt wird: Aufklärung oder Manipulation – Ertüchtigung oder Vergewaltigung.
Während die tradierten Verlage mit sinkenden Auflagezahlen im Printbereich zu kämpfen haben und zudem noch als Lügenpresse verschrien werden, sprießen immer mehr kleine „Verlage“ aus dem Boden. Bei etlichen ist das Ziel einer massiven Manipulationsabsicht nicht zu übersehen. Die Wahrheit wird gebogen, Lügen werden verbreitet, Andersdenkende werden verunglimpft, die eigene Meinung als die einzig richtige dargestellt. Von Respekt oder Toleranz ist nicht mehr im Geringsten die Rede. Nur die eigene Meinung wird noch als zulässig angesehen. Das Internet bietet ihnen eine glänzende Plattform für ihre Manipulationen.
Demokratie in Gefahr
Das Internet ist eine ideale Kommunikationsbasis zur Publikation extremer Meinungen und zur Manipulation unkritischer Menschen. Im Internet wachsen extreme Medien, blühen Verschwörungstheorien und formieren sich jene, die in der Demokratie keinen Platz finden und die pluralistische Meinung der Mehrheit ablehnen. Die Demokratie gerät mit diesen wachsenden Randgruppen zunehmend in eine unheilvolle Auseinandersetzung. Während auf der einen Seite gezielt Manipulation und Ausschluss demokratischer Spielregeln eingesetzt werden, liegt die Demokratie im Zwiespalt mit ihren eigenen Regeln. Die wehrhafte Demokratie wird beschworen, die so gar kein Mittel im Umgang mit den Nicht-Demokraten findet.
Das Internet liefert den Rattenfängern die Möglichkeit, Menschen und Massen nach ihrem Gutdünken zu lenken. Dies ist die größte Gefahr aus dem Internet, die unsere freiheitliche Grundordnung eines Tages zerstören könnte.
Wäre es daher nicht Zeit, über eine Neuordnung der Meinungsbildung nachzudenken?
Neuordnung der Medien
In einer Demokratie bestimmt bekanntlich die Mehrheit den Weg der Gemeinschaft. Die Mehrheit sind in diesem Fall nicht die regierenden Parteien. Die Mehrheit muss hier definiert werden als jene, die unabhängig von parteipolitischer Zugehörigkeit, einen bestimmten und gewollten Umgang mit Meinungsbildung, Medienlandschaft und Manipulation gestaltet sehen will. Eine solche Mehrheit müsste aus dem parlamentarischen Raum überparteilich gebildet werden. Sie müsste die Regeln bestimmen, die die Meinungsvielfalt und ihre Grenzen definieren. Auf diesem Fundament ließen sich die Konsequenzen benennen, die jene in Kauf nehmen müssen, die sich medial außerhalb der Mehrheit bewegen wollen. Das könnten geringere oder der Entzug von Leistungen sein, die die Mehrheit bezahlt. Das könnte der Entzug von Rechten sein, die die Mehrheit als Recht der Mehrheit parlamentarisch und verfassungsrechtlich verankert hat.
Ich höre bereits den Aufschrei der „Über“-Demokraten. Das ist unmöglich, das kann mit unserer Demokratie nicht vereinbart werden! Ja, daran ist vielleicht Wahres, aber dann mögen die „Über“-Demokraten einen anderen Weg aufzeigen, wie mit Hetze, Extremismus, Antidemokratie und Manipulation von Menschen und Wahlen umgegangen werden soll, statt stets nur darüber zu jammern. Wir müssen uns endlich entscheiden, wie wir mit den Antidemokraten umgehen wollen und wie wehrhafte Demokratie funktionieren soll und nicht nur verbal beschworen wird.
Es ist an der Zeit,
die Macht der Giganten zu brechen,
die Influencer zu zähmen,
die Hetzer und Verschwörer zu entblößen,
alle Schmähführer in die Schranken zu weisen.
Wenn die Gesetzgeber den Geschäftsaktivitäten der Internetgiganten weiterhin so lasch und ineffizient begleiten, kann der Menschheit eine sehr unfreie Zukunft drohen.
Verlust der Freiheit
Bei den alltäglichen Dingen des Lebens ist Manipulation noch nicht wirklich dramatisch zu nennen. Im Alltagsleben bietet Manipulation sogar Vorteile, wenn der einzelne Benutzer „maßgeschneiderte“ Angebote und Informationen erhält. O.g. Bestverdiener der Finanzbranche will vielleicht gar kein All-inclusive-Angebot erhalten und fühlt sich mit der teuren Rundreise bestens bedient. Ob Manipulation oder individuell optimale Bedienung ist im Bereich von Werbung und e-Commerce auch eine persönliche Bewertungssache.
Bei der Manipulation der Meinung durch Falschmeldungen oder einseitige Berichterstattung zum Zweck der Wahlbeeinflussung hört aber jede Relativierung auf. Hier werden die Grenzen der persönlichen Freiheit und Selbstbestimmung auf das Gröbste verletzt. Hier beginnt die Demokratie zu wanken, wenn das Ziel der Ausspähung zur Wahlfälschung verkommt. Die Wahl von Donald Trump und die Entscheidung zum Brexit sind die ersten gravierenden Beispiele gewesen. Sie eröffnen den Blick in ein Horrorszenario, an dessen Ende der Mensch zur Wachsfigur in den Händen der Meinungsmacher wird.
Siehe auch: Industrialized Disinformation: 2020 Global Inventory of Organized Social Media Manipulation.
Darin heißt es unter anderem: “Private firms increasingly provide manipulation campaigns. Over the last year, we found fortyeight instances of private companies deploying computational propaganda on behalf of a political actor. Since 2018 there have been more than 65 firms offering computational propaganda as a service. In total, we have found almost US $60 million was spent on hiring these firms since 2009.“
Ade, Du freie Welt!
Zukunft des Internets
Das Ergebnis aus “Was passiert im Internet?” ist erschreckend und zeigt, dass persönliche Freiheit im Internet bereits größten Teils verloren geht. Denn mit den Techniken der Datensammler können die meisten Besucher des Internets identifiziert werden.
Heute mögen Datensammler wie Google, Meta und Microsoft in der Lage sein bereits 80 oder 90 oder sogar mehr als 90 Prozent aller Internetbesucher zu identifizieren. Die Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz mit den Algorithmen zur Mustererkennung wird die Identifizierbarkeit bis an die 100 Prozentmarke schieben. In einer absehbaren Zukunft werden alle BesucherInnen des Internets eindeutig identifizierbar sein. Privatsphäre und persönliche Freiheit sind im Internet werden großteils verloren gehen.
Damit besitzen die Datensammler eine ungeheure Macht, die Meinung der Menschen im Internet zu manipulieren. Und es ist voraussehbar, dass es zu einem kritischen Punkt kommen wird. Bevor dieser erreicht werden wird, wird die Ethik der Datensammler darüber entscheiden, ob und wer wie manipuliert wird. Erreicht die Künstliche Intelligenz der Analysealgorithmen eines Tages das Niveau menschlicher Intelligenz, so entscheidet es sich, ob die Menschheit unter die Herrschaft Künstlicher Intelligenz gerät und wie diese Herrschaft gestaltet sein wird.