
zuletzt geändert am 23.05.2023
Jede Demokratie gewährleistet grundsätzlich Meinungsfreiheit. Aber Meinungsfreiheit gerät auch in einer Demokratie in Gefahr, wenn Manipulation an die Stelle objektiver Berichterstattung tritt. Wenn dann Medienkonsumenten auch noch ihr kritisches Bewusstsein verlieren und Publikationen ungeprüft übernehmen, dann kommt die Meinungsfreiheit auch in einer Demokratie vollends unter die Räder.
Meinungsmache bedroht Meinungsfreiheit
Nicht nur Medien, Parteien, Lobbygruppen und Interessensverbände veröffentlichen ihre Meinung, sondern immer mehr auch Hacker, pressure groups, Fakeautoren und -bots, Influencer, Social Media Dienste und irreführende Blogger. Sie alle machen Meinung.
Auch traditionelle Medien machen Meinung, aber sie überlassen die Meinungsbildung grundsätzlich ihrem Publikum. Bei Parteien, Lobbygruppen, Interessensverbänden und ähnlichen zielt die Meinungsmache schon eindeutig darauf ab, die ausgestrahlte Meinung möglichst unverändert in den Köpfen der Empfänger zu verankern. Der Rest, vom Hacker bis zu den Social Media Diensten, schert sich immer weniger um Meinungsfreiheit, sondern betreibt Manipulation. Sie versorgen auf breiter Front ein selektiertes Publikum mit Falschinformationen und liefern nur noch jene Informationen, die Künstliche Intelligenz für die Empfänger als passförmig ermittelt hat.
Die freie Meinungsbildung kommt immer mehr unter die Räder! Denn Meinung wird von den Absendern gemacht und kaum noch von den Empfängern gebildet. Wenn Menschen sich nicht gegen Manipulation, Fakes und Indoktrinierung wehren, wenn sie Meinungsbildung nicht sorgsam pflegen, wird die Demokratie eines nicht zu fernen Tages verloren gehen.
Politik, Parteien, Wahlen
Soziale Medien spielen in der Politik eine immer größere Rolle, denn mit ihrer Hilfe lässt sich die Wählerschaft ganz gezielt beeinflussen. Dass mit den verbreiteten Informationen ungeniert Missbrauch betrieben wird, lässt sich am Beispiel der Brexit-Wahl und der US-Präsidentschaftswahl von 2016 belegen, auch wenn deren konkreter Einfluss auf die Wahlentscheidungen letztlich nicht bewiesen werden konnte. Das heißt, einerseits besteht kein Zweifel, dass Missbrauch betrieben wurde, aber ob der Missbrauch ursächlich für das eingetretene Ergebnis war, ließ sich andererseits nicht beweisen. Unzweifelhaft bleibt, dass Menschen beeinflusst wurden und nicht mehr nach freiem Willen handelten. Die meisten Untersuchungen über Manipulation und Wahlbeeinflussung gehen von einer Zunahme solcher Kampagnen aus.
Die Manipulation der Wähler hat mit dem Internet einen massiven Aufschwung genommen, aber Manipulation geht natürlich auch ohne Internet. Der ehemalige österreichische Kanzler Kurz lieferte mit seiner türkisen Kampagne ein beredtes Beispiel dafür (siehe Chat-Protokolle). Und der Aufschwung der FPÖ geht in nicht wenigen Teilen ebenfalls auf gezielte Meinungsmache zurück. Der radikale Kurs der FPÖ hat ihr ein Plus von gut 50% an Wählerstimmen gegenüber der Nationalratswahl von 2019 gebracht. Die Corona-Pandemie, zunehmende Migration, die Russland-Sanktionen, steigende Energiepreise, hohe Inflation und der Krieg in der Ukraine werden thematisch gezielt eingesetzt, um die Meinung und die Angst der Unzufriedenen damit zu umgarnen. Themen wie Lehrermangel, Pflegenotstand, Defizite in der Kinderbetreuung, gerechte Bezahlung oder Klimaschutz sucht man in der Kommunikation eher vergebens. Dafür findet man sogar die irrsinnige Behauptung, es gäbe gar keine Klimakrise, denn auch damit ist mehr Aufmerksamkeit zu erregen.
Das Ziel lautet stets: wie erreicht man die maximale Aufmerksamkeit und die größte Zustimmung, um für die eigene Partei die meisten Wählerstimmen zu mobilisieren? Denn am Ende zählt auch in der Demokratie nur eins. Es ist die Macht zu regieren und nicht die Macht, dem Volk zu dienen.
Meinungssklaverei droht
Alle Parteien setzen die Schwerpunkte ihrer Themenwahl nicht nach dem Gesichtspunkt der bestmöglichen Fürsorge für die Bevölkerung, sondern nach strategischen Gesichtspunkten, mit welchem Themenmix die Meinungsbildung am erfolgreichsten wirkt und wie man die meisten Wählerstimmen gewinnt. Nicht das Wohlergehen der Bevölkerung steht im Fokus, sondern die meisten Prozentpunkte aus Meinungsumfragen und Wahlen. Die Demokratie degeneriert zum strategisch instrumentalisierten Meinungsmonopoli. Um in diesem Wettrennen die besten Plätze zu erhaschen, ist fast jedes Mittel sakrosankt. Die Manipulation der Information und der Meinung der Menschen gehört zum Alltag. Das Internet und die Sozialen Medien bieten hierfür eine ungleich effektivere Möglichkeit als Wahlreden, Wahlplakate oder öffentliche Veranstaltungen.
Wenn die Sozialen Medien ihre Algorithmen zur Ausspähung der Internetbenutzer weiterhin so ausbauen wie bisher und wenn Egozentriker in politischen Parteien sich dieser Techniken ungeniert bedienen, so gibt es eines Tages keine freie Meinung mehr, sondern nur noch Manipulation. Der einzige Ausweg aus der dann folgenden Meinungssklaverei heißt, Widerstand gegen die Meinungsmache und extrem kritische Meinungsbildung aus den angebotenen Informationen.
Wie groß wird am Ende noch der Unterschied sein zwischen einer Diktatur mit Meinungsmonopol und einer Demokratie mit durchgängiger Meinungsmanipulation? Die Menschen in jeder Demokratie werden darüber entscheiden, ob Meinungsfreiheit statt Manipulation herrscht und ob ihre Meinung selbst- oder fremdbestimmt ist.
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